"Hier ist Kommandant Hergat. Wir ziehen so schnell wie möglich ab! Alle machen, dass sie wegkommen!" funkte Hergat.
Derweil ging der Beschuss unaufhaltsam weiter. Piraten, denen man die Beute genommen hatte, stellten gefährliche, wütende Gegner dar.
"Bringen sie uns hier raus, Lonn!" forderte Kommandant Hergat vom Kapitän seines Flaggschiffs.
"Was ist mit dem getroffenen Schiff, das an unserer Flanke war? Wir können uns auch gegenseitig Feuerschutz geben, um die Chancen zu erhöhen!" schlug Derek vor.
"Machen sie ihre Augen auf, Kadett! Wir haben Glück, wenn irgendeines unserer Schiffe heil hier raus kommt!!" wies Hergat seinen Vorschlag ohne Umschweife ab.
Das Schiff, von dem Derek gesprochen hatte, war in große Probleme geraten, zu manövrieren. Womöglich waren bereits einige Crewmitglieder bei dem Durchschuss umgekommen oder verletzt worden. Derek erschrak, als er mit ansehen musste, wie es noch ein paar Treffer einsteckte, zerbrach und schließlich explodierte.
Kuhn bekam das als Pilot am Steuer nur am Rande mit. Ließ er das jetzt zu sehr an sich heran, würden sie auch noch getroffen. Das wäre ihr Untergang, wie es gerade der ihres Flügelschiffs gewesen war.
"Hier ist Kommandant Hergat! Besinnen sie sich auf unseren einzigen Vorteil, die Geschwindigkeit! Lösen sie sich vom Feuer, denken sie an die Akademie und die Hochgeschwindigkeits-Übungen - das haben sie den Piraten auf jeden Fall voraus! Kadett Derek, so heißen sie doch?" sprach ihn Kommandant Hergat an.
Warme Worte von Hergat? Hergat hatte sich seinen Namen gemerkt?
"Ja, Kommandant!" bestätigte Derek.
"Erzählen sie mir von ihrer Idee mit dem Feuerschutz. Können sie das mit Hochgeschwindigkeit kombinieren?" wollte Hergat wissen.
"Berechnungen laufen!" bestätigte Derek.
Kapitän Lonn blieb seltsam still, sein Kumpel Kuhn bewies derweil Nerven aus Stahl mit seinen Ausweichmanövern. Gleich würde Derek noch mehr von ihm abverlangen. Aber eine andere Chance gab es nicht.
"Es kann immer ein Schiff Vollgas zur Flucht geben, ein Anderes schießt auf die Piraten und zieht das Feuer auf sich, damit die Flucht gelingt." erklärte Derek.
"In Ordnung, wir müssen das jetzt schnell machen. Unser Flaggschiff wird zuletzt fliehen." murmelte Hergat.
Er tippte auf seinem Funkgerät herum und schickte einen Befehl mit Dereks Berechnungen an die anderen Schiffe. Inklusive der Aufteilung, wer wann Feuerschutz gab und fliehen würde.
Kuhn am Steuer ihres Flaggschiffs musste am längsten mit Ausweichen durchhalten, trotzdem so fliegen dass die Schützen an Bord halbwegs treffen konnten und zu guter Letzt ohne Feuerschutz fliehen.
Derek konnte nichts mehr weiter tun als hoffen, dass sein Plan aufgehen würde. Er rechnete die Manöver immer wieder durch. Es brachte nicht mehr wirklich etwas, aber sonst würde die Anspannung ihn noch wahnsinnig machen.
Das Geschützfeuer, die Explosionen, das Getöse, die aufgeregten Schreie über Funk, all das blendete er fast ganz aus. Seinen Blick auf die Monitore und Berechnungen vor ihm fukossiert, nahm er alles Andere nur gedämpft wahr.
Derek konnte nicht mehr sagen, wie lange das so ging.
Plötzlich bemerkte er den Sog einer starken Beschleunigung. Direkt darauf gab es einen Ruck, der sie fast aus den Gurten riss, samt einer lauten Explosion in unmittelbarer Nähe.
Die Sea of Infinity geriet dadurch aus ihrer angepeilten Flugbahn. Die Flugbahn, welche ihr Fluchtweg sein sollte. Kuhn fluchte und schrie dabei wie verrückt. Derek dachte schon, das war es jetzt. Doch ihr Schiff kratzte irgendwie noch die Kurve und die Beschleunigung setzte sich fort. Diesmal ohne weitere Ablenkungen.
Derek konnte auf seinen Instrumenten erkennen, dass Hergat eine Zielpeilung für alle gesetzt hatte. Sie zeigte zurück in die Heimatbasis, aus der sie gekommen waren. Der Gedanke, zurückkehren zu können, war in diesem Augenblick das Schönste was es gab. Eine halbe Stunde lang flogen sie volles Tempo. Niemand sprach auch nur ein Wort.
Die Sea of Infinity kam als Letztes an. 15 Schiffe warteten in der Heimatbasis auf das Flaggschiff. Somit waren sie 16 von 25. 9 Schiffe hatten es nicht geschafft. Wenn man an die lebhafte Stimmung dachte, die hier vor dem Abflug geherrscht hatte, wirkte die Basis plötzlich sehr einsam und leer.
Derek und Kuhn wurde schmerzlich bewusst, dass sie einige ihrer Kameraden nie mehr wiedersehen würden. Niemand sprach ein Wort, niemand vergoss eine Träne. Zumindest noch nicht. Vieles würde später hinter verschlossenen Türen, für sich und im Stillen verarbeitet werden müssen. Wer von ihren Kameraden wohl nicht mehr am Leben war?
Doch gerade brannte allen Verbliebenen auch noch eine ganz andere Frage unter den Nägeln. Eine sehr akute Frage, die - trotz aller Umstände - JETZT geklärt werden sollte. Wer würde sich trauen, die Frage zuerst zu stellen?
"Wer kann mir sagen, weshalb das Geschwader mit scharfen Waffen ausgerüstet wurde?" funkte Hergat.
Auf dem offenen Geschwader-Rundfunk. In einem für ihn ungewohnt lauten Ton. So fuhr er auch fort:
"Ich hätte ein kleines scharfes Geschoss unter so Vielen noch als Versehen gewertet. Ein folgenschweres Versehen allemal, aber wenigstens nichts Absichtliches. Dass ALLE Waffen in ALLEN SCHIFFEN tödlicher Natur sind, obwohl wir ein Übungsgefecht unter Unseresgleichen abhalten wollten, ist Absicht und UNVERZEIHLICH, es ist Sabotage und es ist VERRAT! Ich hatte sie an Bord des Flaggschiffes noch selbst überprüft. Auf ihren Hüllen waren die Gefechtskörper eindeutig als Übungsmunition ausgewiesen!"
"Wie spielen sie sich denn auf Hergat, woher wollen sie bitte wissen, dass es Absicht war? Was haben sie eigentlich vor unserem Abflug so Wichtiges privat gefunkt oder gemauschelt? Sie waren total abgelenkt und..." mischte sich Kapitän Lonn ein.
Ebenfalls über den offenen Rundfunk-Kanal. So begann ein brisantes Wortgefecht vor dem gesamten Geschwader, das eigentlich schon genug gezeichnet war.
"Ich musste das so kurzfristig anberaumte Übungsgefecht noch schnell vorbereiten! Ich stand mit dem anderen Geschwader-Kommandant in privatem Kontakt, damit niemand schon vorher mitbekommt, was passieren wird." erklärte sich Hergat sofort, völlig empört.
"Natüüürlich. Übungsgefechte plant man nicht Kommandant, sie passieren! Verkohlen sie uns nicht und spielen den Unschuldigen! Sie haben die Vernichtung geplant, so einfach ist das!" wetterte Lonn.
Die Cockpit-Crew der Sea of Infinity sah nur zu. Das gesamte restliche Geschwader hörte nur zu. Jeder hatte seine Meinung, je nach dem, was er von den beiden Ranghöchsten im Geschwader schon gehört hatte. Derek musste zugeben, vor dem Kampf gegen die Piraten wäre er noch auf Lonns Seite gestanden. Aber nach allem, was sie gerade erlebt hatten, war er sich nicht mehr so sicher.
Hergat konterte derweil:
"Das ist Verleumdung, Lonn! Weshalb haben sie es derart auf mich abgesehen? Was habe ich ihnen getan?"
"Sie sind ein Paragraphenreiter von der Akademie. Bilden seit Jahren die Kadetten zu Äffchen aus, die nichts mehr können außer die Vorschriften zu befolgen. Da draußen geht es hart zu Hergat, das haben wir gerade alle gesehen! Niemand lernt mehr wirklich Kämpfen. Keiner ist richtig vorbereitet!" warf Lonn ihm vor.
"Haben sie sich dafür eingesetzt, dass ein Übungsgefecht durchgeführt wird und nicht Zielschießen wie üblich?" warf Derek plötzlich dazwischen.
Eine Sekunde danach wurde ihm bewusst, dass es gerade jeder mitbekommen hatte. Doch der Gedanke war ihm gekommen und er hatte nicht anders gekonnt als laut zu denken.
"Natürlich, alle Kapitäne waren meiner Meinung!" kam es prompt von Lonn zurück.
"Und würden sie jemals einen Frontalangriff auf Piraten fliegen, wenn sie wüssten, dass keine scharfe Munition an Bord ist?" fragte Derek sofort weiter.
Damit sprach er eine Frage aus, die ihm schon länger im Hinterkopf herumgeisterte. Kuhn kannte seinen Kumpel, doch diese Aktion hatte er Derek nicht zugetraut. Zuerst erhielt Derek keine Antwort. Doch da begann der alte Hund Lonn, bellend zu lachen.
"Ich würde niemals mit einem Schiff abheben, das nur Platzpatronen an Bord hat." gab der Kapitän zu verstehen.
"Einen Augenblick, sie wussten also die ganze Zeit, dass wir scharfe Munition geladen haben? Außerdem wussten sie von Anfang an vom Übungsgefecht, genau genommen haben sie es selbst initiiert??" gingen bei Kommandant Hergat die Lichter an.
"Wenn die Piraten nicht gewesen wären, hätten wir unsere Kameraden abgeschossen..." war Derek fassungslos.
"SIE sind selbst der Verräter, Lonn! Die Ausbildungspraxis mag veraltet sein, aber das rechtfertigt ihre Taten in keinster Weise! Nehmt den Mann fest!" ordnete Hergat an.
Die Leute vom Wachdienst waren ohnehin längst ins Cockpit gekommen. Lonn ließ sich ohne Gegenwehr festnehmen.
"Kadett, sag mir noch einmal deinen Namen." forderte Lonn, kurz bevor er abgeführt wurde.
"Mein Name ist Derek." kam es zurück.
"Irgendwie wusste ich, du hast ein bisschen mehr drauf als der Rest. Gar nicht so wenig Grips und die richtige Portion Mut wenns drauf ankommt. Wenn nur mehr Kadetten so wären wie du. Deinen Namen werde ich mir merken." tönte Lonn.
"Eine Sache verstehe ich noch nicht. Sie mussten doch wissen, dass ihr Plan auffliegt, wenn wir zu Hilfe eilen. Niemand außer ihnen war dafür. Es wäre ein Leichtes gewesen, wegen der Übungsmunition die Hilfe abzulehnen. Wieso haben sie sich nochmal umentschieden?" wollte Derek wissen.
"Als ich die Verzweiflung des Hilferufs hörte, war mir wieder wie in alten Zeiten. Ich sah es als Zeichen des Sternenmeers, Ironie des Schicksals. Ich lade echte Waffen auf, um das System zu ändern aber das Schicksal gibt uns Piraten. Endlich wusste ich wieder, warum ich eigentlich zur Sternenflotte wollte. Ich schäme mich für das, was ich tun wollte. Glaub es mir oder nicht." gab Lonn bereitwillig Einblick in seine Gedankenwelt.
"Ich habe erst viel von Ihnen gehalten. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben soll." war auch Derek ehrlich.
"Komm mich im Gefängnis besuchen, wenn du es weißt." ließ Lonn ihm zurück.
Dann wurde ihr Kapitan endgültig abgeführt. Der Rest der Mannschaft blieb mit gemischten Gefühlen zurück.
Derek wusste wirklich nicht, was die Zukunft noch bringen würde. Was er glauben sollte. Ob er das jemals wissen konnte. Doch Derek war sicher, dass er alles daran setzen würde, das eines Tages herauszufinden.